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Wenn Pferde kleben

Wir besitzen drei Pferde, zwei Stuten und einen Wallach. Von dem Augenblick an, als mein Wallach meine Stute zum ersten Mal gesehen hat, war es um ihn geschehen. Und zwar so richtig. Ihre lange Mähne, ihre großen Kuhaugen und dann noch dieser umwerfende Körper brachten meinen Wallach im wahrsten Sinne des Wortes um den Verstand. Die Pferde waren nur auf der Koppel zusammen und standen im Stall nebeneinander in ihren Paddocks. Da ich nicht zwei Pferde gleichzeitig bewegen kann, habe ich beide immer getrennt gearbeitet und so fing das ganze schon nach ein paar Tagen an: Sobald ich die Stute aus der Box nahm oder nur annähernd mit dem Halfter in ihre Nähe kam, spielte der Wallach verrückt. Nahm ich sie raus, schrie er ununterbrochen, schwitzte und man hatte wirklich das Gefühl, dass er den schlimmsten Trennungsschmerz seines Lebens erleiden muss. Auch als die zweite Stute hinzukam "verliebte" er sich unsterblich und war von nun an damit beschäftigt bei Abwesenheit einer der beiden einen riesen Terz zu veranstalten.

Obwohl der ganze Stall voller Pferde war, er also nicht wirklich alleine war, kickte er gegen die Boxenwände, wenn eine "fehlte", so dass ich Angst hatte er könnte sich in meiner Abwesenheit verletzen. Obgleich er sich so dermaßen aufführte, konnte ich mit meinen Stuten alles machen - sie interessierte sich überhaupt nicht für sein Verhalten und ließen sich glücklicherweise auch nicht anstecken, so dass ich wenigstens immer ein Pferd hatte mit dem ich in Ruhe reiten gehen konnte. Viele Leute um mich herum hatten kluge Ratschläge, da war vom "Wegprügeln" bis hin zum Sedieren einiges dabei - wovon ich jedoch keinen einzigen umgesetzt habe. "Kleben" zählt im Allgemeinen zu den unerwünschten Verhaltensweisen und ist primär auf die "Angst des Alleinseins" zurückzuführen, weicht dieses Verhalten jedoch stark von der Norm ab und ist extrem, spricht man in einzelnen Fällen auch von "Phobien". Solche Traumata können durch zu frühes oder auch falsches Absetzen von der Mutterstute im Alter von 3 bis 4 Monaten entstehen. Meist handelt es sich jedoch nur um Angst vor dem Alleinsein. Diese Angst tritt auf, wenn in der Grundausbildung (auch im Fohlenalter) das Trennen von Artgenossen versäumt wurde zu üben. Oftmals verbinden Pferde mit diesem Trennen dann auch noch negative Ereignisse, wie zum Beispiel ein grobes Anreiten alleine in der Halle oder eine holprige Hängerfahrt in einen anderen Stall, weg von den Artgenossen. Denn alles was Pferde - besonders in jungen Jahren - erleben prägt sie enorm und kann zu solchen Verhaltensproblemen führen.

Zudem kann Kleben auch ein Indikator für Rangordnungsprobleme in der Pferd-Mensch-Beziehung sein. Denn die Rangordnung steht mit dem Kleben in engem Zusammenhang mit der Angst, was sich dadurch zeigt, dass das Vertrauen zum Artgenossen größer ist als das zum Menschen, was bedeutet dass der Reiter durch seine Ranghöhe nicht in der Lage ist, dem Pferd die nötige Sicherheit zu geben. Noch dazu wissen viele Pferdebesitzer  in so einer Situation nicht, wie sie mit dem Pferd umgehen sollen, werden hektisch und lassen das Pferd im schlimmsten Fall sogar noch ihre eigene Unsicherheit spüren, welche sich wiederum auf das Pferd überträgt und dessen Drang zurück zur "Herde" nur verstärkt. Hier sollte konsequentes, pferdegerechtes Training mit dem Schwerpunkt der Klarstellung der Ranghöhe Abhilfe schaffen. Vertrauen und Respekt sind auch hier wieder als Basis anzusehen. Denn nur wenn das Pferd lernt, dass es bei seinem Menschen sicher ist, kann es sich an diesem orientieren und diesem mutig folgen.

Kleben kann aber auch als ganz natürliche Verhaltensweise in Form des Schutzinstinktes gezeigt werden. Dies tritt vor allem bei Hengsten, "hengstigen" Wallachen bzw. bei Mutterstuten auf, die lange Zeit mit einer Stute bzw. ihrem Fohlen gehalten wurden und somit eine extreme Bindung aufbauen konnten. Wie bei es bei meinem Wallach mit "seinen" Stuten der Fall war. Dabei zeigt sich dieses Verhalten, dann in den meisten Fällen aber nur, wenn diese Pferde dann entweder in eine neue Herde integriert werden oder zum Beispiel in einer fremden Umgebung (Turnier) sind. Auf ein Turnier mit meinem Wallach und einer der Stuten zu gehen glich einem Erlebniswochenende von Jochen Schweitzer und wird mit Sicherheit eine Ausnahme bleiben. Auf dem Turnier angekommen war an normales "Führen" nicht mehr zu denken, da mein Wallach nur damit beschäftigt war zu schauen was die Stute macht und sie im Fall der Fälle beschützen zu können. Nach diesem Wochenende hatte ich den Wunsch nach einem 6 wöchigen Wellnessurlaub ohne Pferd :D

Aber wie das immer so schön ist, bestätigen Ausnahmen ja bekanntlich die Regel und mein Wallach zeigte dieses Verhalten nicht nur auf dem Turnier - wobei es hier nochmal drei Stufen schlimmer ist - sondern auch zu Hause, so dass an konzentriertes Arbeiten nicht mehr zu denken war. Es musste eine Lösung her und zwar eine, die es mir und dem Pferd erleichtert. Denn ich bin davon überzeugt, dass ein Pferd, welches durchgehend Stress hat, den Artgenossen zu "verlieren", auf Dauer kein glückliches Pferd ist. Deshalb entschied ich mich bewusst, den Wallach von BEIDEN Stuten von "Tisch und Bett" zu trennen. Seither führen die drei eine Fernbeziehung und sehen sich nur manchmal auf der Stallgasse - was ich aber auch zu vermeiden versuche, um seinen Beschützerinstinkt erst gar nicht zu wecken. So steht mein Wallach nun in einer Wallach-Herde und ist ein komplett anderes Pferd. Nachdem der erste Trennungsschmerz überwunden war, gliederte er sich gut in die neue Gruppe ein und ist insgesamt ruhiger und ausgeglichener. Aufs Turnier fahre ich nur noch mit ihm alleine, was sich als viel entspannter und sogar Freude bereitend herausstellte. Woher seine Angst kommt kann ich leider nicht genau sagen, da ich ihn fünfjährig gekauft habe und keinerlei Infos über das damalige Absetzen oder Anreiten habe. Da er zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit auch nicht gerne alleine in der Halle blieb und dabei wirklich nervlich extrem angespannt war, kann ich mir durchaus vorstellen, dass er dies mit einer (unschönen) Situation aus seiner Vergangenheit verknüpfte. Die Bindung zu den Stuten hat er bis heute nicht abgelegt und somit darf er sein Junggesellenleben mit seinen Kumpels in vollen Zügen genießen und muss sich nun keine Gedanken mehr über "seine Mädels" machen ;)

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