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Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr ... oder etwa doch? Neuroplastizität im Pferdegehirn

"Der ist schon zu alt, der lernt das nie mehr!" Solche oder ähnliche Sprüche hört man im Pferdetraining immer wieder. Aber ist das tatsächlich so oder ist das einfach nur eine Ausrede, damit man bestimmte Bereiche nicht mehr "angehen" muss? 

Ist das Pferdegehirn und dessen Speicher dann ab einem bestimmten Alter nicht mehr umprogrammierbar? Also einmal Spinner immer Spinner?

Diese und weitere Fragen beschäftigen mich seit längerer Zeit und immer wieder werden mir in meinem pferdischen Alltag Beweise dafür gegeben, dass auch ältere Pferde durchaus in der Lage sind Neues zu erlernen und auch im Kopf zu behalten.  Viele Pferdebesitzer finden sich leider damit ab und sagen "der ist halt so", ohne eine kleine Anstrengung zu übernehmen und diese These auf den Wahrheitsgehalt zu prüfen. 

 

Warum gerade ich zu dem Thema komme erkläre ich kurz.

Mein Wallach ist inzwischen sechszehn Jahre alt und galt lange Zeit als einer dieser "Spinner" - Bocken beim Reiten, kleinste Veränderungen brachten ihn komplett aus dem Konzept und neue ungewohnte Situationen waren sein persönlicher Albtraum, bestimmte Lektionen zu erlernen lehnte er strikt mit Arbeitsverweigerung und extremen Gestresstsein ab und auch ein einfacher Trail konnte ihn an den Rande einer Nervenzusammenbruchs bringen. Kurz gesagt, alles was "neu" war, war erstmal furchteinflössend und schrecklich. Oftmals hab ich dann gehört "Das ist eben so bei ihm"/"Er wird das nie lernen"/"Da hat man in jungen Jahren etwas versäumt" und und und.... Ja kann alles sein, also das mit dem Versäumen und ja, dass er eine kleine Drama-Queen ist - ABER (ja jetzt kommt das große aber) ich hatte immer einen festen Glauben an ihn. Ok, das klingt jetzt vielleicht erstmal komisch, aber ja der Glaube und das Vertrauen ihn in und seine Fähigkeiten hat dann wohl einiges erreicht. Nach elf Jahren gemeinsamer Zeit - mit wirklich vielen Höhen und Tiefen (ja auch Buckeln konnte der Herr ganz wunderbar) - kann ich sagen, dass ich mein Traumpferd im Stall stehen hab. Er ist verlässlich, brav, ausgeglichen, macht jeden Quatsch mit und kann sogar ganz gelassen einen Trail am langen Zügel oder ganz ohne Kopfstück durchlaufen.... und all das obwohl er das ja als junges Pferd nicht gelernt hat. Was ist also in dieser Zeit passiert?

Magie? Wohl eher nicht....oder doch? Denn das Gehirn und ja auch das des Menschen, ist super wandlungsfähig und schon ein bisschen magisch zu was es im Stande ist. 

Das Pferdegehirn ist im Vergleich zum menschichen Gehirn wirklich klein: Gerade mal 0,1 Prozent seines Körpergewichts macht es aus. Beim Menschen im Gegensatz sind es 2,0 Prozent. Aber das Größe nicht immer was mit Leistung zu tun hat wissen wir alle :) In seinem Grobaufbau ist das Gehirn des Pferdes wie bei allen Säugetieren: Es besteht aus Großhirn, Kleinhirn und dem Stammhirn mit seinem anschließenden Hirnstamm. Und natürlich ist es nicht ganz so komplex wie ein Menschenhirn, aber es ist auf seine Weise durchaus faszinierend und kann genauso gut Sinneswahrnehmungen und Bewegungen steueren wie unser Gehirn. Den Größten Entwicklungsprozess macht es im Mutterleib, damit wenn das Fohlen auf die Welt kommt, schnell bereit ist zu fliehen - da Pferde Nestflüchter sind und auf eine gute Koordination angewiesen sind, um zu überleben. Die sogenannte "Hardware" ist also beim Erblicken der Welt gegeben. Die "Software" also das Lernen bestimmter Verhaltensweisen und auch Bewegungen entwickelt sich dann im Fohlen- und Jungpferdealter rasant - hier ist ja auch ziemlich viel noch ziemlich neu. Diese Entwicklung stoppt jedoch nicht - wie oft angenommen - sondern ist ein Pferdeleben lang da. 

Man spricht  also auch hier von Neuroplastizität, diese bezeichnet die Eigenschaft des Gehirns, durch Training veränderbar zu sein. Neuroplastizität ist damit die Grundvoraussetzung für jede Form des Lernens. Durch Training verändern sich die Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn, indem sie stärker oder schwächer werden. Dieses noch sehr junge Forschungsgebiet im Humanbereich ist super spannend und kommt immer mehr in den Fokus bei verschiedensten Lernprozessen, aber auch beispielweise bei der Rehabilitation von Krankheiten und in der Therapie von Angst-/Schmerzapatienten. Vereinfacht ausgedrückt ist es also durchaus möglich das Gehirn zu verändern.

Durch die Bildung neuer neuronaler Verknüpfungen und Gewohnheiten ist eine Veränderung im Verhalten möglich. Und warum Gewohnheiten? Weil wir uns daran "gewöhnen" ist eine Verbindung im Gehirn also ziemilch fest. Wir alle kennen das, es gibt gute und auch weniger gute Gewohnheiten, manche nerven uns und manche nützen uns. Warum aber schalten wir die nervenden nicht einfach ab? Denn fest steht, je öfter diese praktiziert werden, umso gewohnter werden sie und sie werden fast schon ein Teil von uns - das denken wir zumindest. Und hier kommt die Neuroplastizität ins Spiel: Es kann verändert werden! Veränderung bedeutet jedoch Anstrengung und diese wiederum widerspricht unserem (manchmal) bequemen Dasein. Durch Training und Willenskraft sind oder wären wir also nicht das Opfer unseres Gehirns und können Neues aus uns und unserem Verhalten hervorholen. 

 

Und wenn das beim Menschen geht, warum sollte das dann nicht auch beim Pferd gehen? Ich möchte hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen oder Pferde vermenschlichen, aber Überleben und Anpassung haben nun mal was mit der Entwicklung des Gehirns zu tun. Leider gibt es kaum Studien, welche dieses interessante Thema bisher fundiert darlegen. 

 

Aus dem "Praxisexperiment" meines Pferdes ziehe ich für mich aber die Erkenntnis, dass auch ein Pferdegehirn wandelbar ist. Jetzt kommt natürlich die Frage nach dem WIE? 

Und auch das ist, wie unsere Pferde ganz individuell, Fakt ist jedoch, dass das "Lernklima" also die Atmosphäre in der das Pferd neu lernen soll, entspannt und stressfrei ist. Das Pferd lernt am besten durch Motivation und sein natürliches Neugierdeverhalten. Ebenso empfiehlt es sich Grundübungen, welche Vertrauen schaffen vom Boden aus zu üben und viel über Lob (das müssen nicht Leckerlis sein, sondern kann auch Pause machen und Streicheln sein) zu arbeiten. Denn durch Lob wird wiederum Dopamin ausgeschüttet und dieser bekannte Botenstoff aktiviert das Belohnungssystem und aktiviert ein sogenanntes Wohlgefühl. Ein entspanntes Pferd nimmt somit Informationen besser auf und kann diese dann auch verarbeiten - ganz wie bei uns! Stress ist ein Lernkiller.

Und was auch ganz wichtig ist meiner Meinung nach, ist eine gewisse Flexibilität unsererseits, denn mit Druck und Zwang erreichen wir hier einfach mal wieder nichts oder verschlimmbessern eventuell noch ungewünschtes Verhalten. Wir sollten deshalb im Lernprozess unseres Pferdes flexibel bleiben in unseren Erwartungen und diese bestenfalls anpassen an die gegebene Situation. Wir sind die Spezies mit dem etwas besser ausgerüsteten Hirn, also lasst es uns nutzen, um auch in den Gehirnen unserer Pferde positive Veränderungen hervorzurufen. 

(Copyright: Sarah Riegg)

Es handelt sich hier um keinen wissenschaftlich fundierten Bericht. 

Quelle zum Thema Neuroplastizität beim Menschen: https://www.tinnitracks.com/de/tinnitus/neuronale-plastizitaet

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