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Halbwissen in der Pferdewelt

Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Der Wandel den unsere Gesellschaft in den letzten 100 Jahren erlebt hat ist enorm. Von der Pferdekutsche hin zum Auto, welches in naher Zukunft sogar selbständig fahren soll. Technisierung und neue Kommunikationsformen entwickelten sich rasant. Immer mehr ist man im Alltag auf elektronische Geräte angewiesen und kann sich den Alltag ohne diese kaum mehr vorstellen. Durch mobile Datenübertragung ist das Internet beinahe überall verfügbar. Und so ist in der modernen Wissensgesellschaft Wissen zwar immer und überall greifbar dank Internet, jedoch habe ich das Gefühl, dass die Menschen darauf immer weniger zurückgreifen. In allen Bereichen des Lebens fällt das auf und zeichnet sich dieses enorme Halbwissen der Menschen ab.

Auch im Reitsport ist dieser „Trend“ zu spüren. Zwar ist es schön, dass heutzutage viele diesen Sport erlernen und ausüben dürfen. Doch wenn das Wohl der Tiere unter der Unwissenheit der Besitzer leidet, sehe ich hier enormen Handlungsbedarf. Viele Menschen erfüllen sich den schon lange geträumten Wunsch vom eigenen Pferd erst im Erwachsenenalter und das dann auffällig oft schon nach ein paar Reitstunden. Als ich mit 5 Jahren zum Reiten anfing, stand fest, dass ich erst einmal eine Reitschule besuche in der ich die Basis wie einen guten Sitz und den richtigen Umgang unter fachlicher Aufsicht lerne. Zwar hatten wir schon immer Pferde in der Familie, aber ein eigenes Pferd kam zunächst nicht in Frage. Und so verbrachte ich viele schöne Stunden bis Jahre auf den Rücken von Schulpferden und ging durch eine manchmal nicht nur angenehme Schule. Doch was ich sicher lernte, war wie man ein Pferd zu behandeln hat, dass zum Reiten eine Menge Disziplin gehört und dass Pferde keine Kuscheltiere sind.

Sehe ich mich heute in den Reitställen um, sehe ich viele Leute die ihre Pferde bestimmt sehr „lieben“ und nur das allerbeste für sie wollen, jedoch ist das meist genau das Falsche für die Vierbeiner. Es ist eine verdrehte Welt. Menschen die seit einem Jahr reiten und es gerade mal im Schritt eine Runde durch die Bahn schaffen, kaufen sich ein Pferd und denken, das Pferd muss jetzt „funktionieren“. Sie reden auf ihre Pferde ein, so dass ich schon beinahe einen Tinnitus bekomme, wenn ich zufällig vorbei laufe. Oder sie stecken ihrem Pferd ununterbrochen Leckerli ins Maul, um es so „gefügig“ zu machen. Aber wie bereits in einem meiner vorherigen Beiträge angesprochen, sollten wir als Menschen in der Rangordnung über dem Pferd sein. Welches ranghohe Pferd füttert bitte ein rangniederes Pferd in der Herde??? Also ich habe noch keines gesehen, ganz abgesehen davon, füttern sich Pferde grundsätzlich nicht gegenseitig ;-)

Und genau hier nimmt das Schicksal seinen Lauf. Denn wenn es schon im Umgang mit meinem Pferd hapert, ja wie soll ich dann bitte auf seinem Rücken sitzend mit ihm klarkommen? Genau, richtig, das geht nicht. Einige Pferde sind wirklich gutmütig, sie spielen mit bei dem „Freundschaftsspiel“ ihrer Besitzer mit – meist jedoch auch nur einen begrenzten Zeitraum. Dann wenn die Zeit reif ist, das Pferd sich ohne seinen Menschen sowieso besser fühlt und nicht mehr ganz so kooperativ ist, dann müssen Lösungen her. Und zwar schnelle Lösungen. Da das Pferd ja eh „blöd und stur“ ist, muss etwas passieren. Dann setzen sich diese Menschen dann an den PC und anstatt, dass sie sich selbst reflektieren und etwas über die Natur des Pferdes lesen, diskutieren sie erstmal stundenlang in Internetforen, tauschen sich hierbei mit „Gleichgesinnten“ über ihr Halbwissen aus und suchen letztendlich nach Trainern, welche ihr Pferd am besten innerhalb von 2 bis 3 Monaten wieder „reparieren“.

Der Ansatz eine Fachkraft mit dem notwendigen Fachwissen zu engagieren und zu Rate zu ziehen, ist ja im Grunde genommen nicht schlecht. Jedoch sind die Erwartungen an den Trainer und das Pferd so groß, dass meist das Pferdewohl auf der Strecke bleibt. Das Pferd wird dann in vielen Fällen aus seiner gewohnten Umgebung gerissen und wird „trainiert“ (über Trainingsmethoden hier zu schreiben würde meinen Blog-Rahmen sprengen). Nach 3 Monaten kommt das Pferd wieder nach Hause und es wird erwartet, dass das Pferd jetzt brav läuft. Wie alle Dinge im Leben, welche länger halten sollen, braucht auch ein professionelles Training mehr Zeit als wenige Wochen. Wenn aber die Besitzer nicht in der Lage sind, sich selber zu trainieren und ihre Verhaltensweise gegenüber dem Pferd überdenken, wird das Erlernte nicht lange halten. So kommt dann das Pferd nach kurzer Zeit wieder zum Trainer oder wird im schlimmsten Fall verkauft, da es nicht mehr „passt“.

Dass man sich von Pferden trennt und auch mal mit einem Pferd nicht klarkommt, das ist nicht verwerflich. Was ich verwerflich finde, ist, dass die Menschen so wenig Selbstreflexion aufbringen. Sie wollen alle so klug sein, schnappen aber nur irgendetwas ohne Zusammenhang auf und erkennen nicht, dass sie selbst Schuld sind an der Misere.

Ich verstehe nicht, dass in unserer modernen Welt das Wissen, um das Tier so auf der Strecke bleibt. Das Pferd wird einerseits geliebt und andererseits durch eine absolute Vermenschlichung, fachlich Anthropomorphismus genannt, nicht verstanden.

Hier finde ich den Satz

"Früher gab es Pferdemenschen. Heute gibt es Menschen mit Pferd."

absolut passend. Natürlich war früher nicht alles besser und neue Entwicklungen sind wichtig und auch erforderlich. Jedoch sollte altbewährtes Wissen nicht verloren gehen und es sollte nach Verbesserung in allen Bereich gestrebt werden.

Wir Menschen mögen uns rasant weiterentwickelt haben. Haben innovative Techniken erfunden und leben ein Leben der Schnelligkeit. Doch Pferde die seit mehr als 5000 Jahren mit uns leben, sind noch immer Flucht- und Herdentiere mit Bedürfnissen, welche auf ihrem Instinktverhalten beruhen. Und genau das sollte man sich als „Pferdemensch“ immer vor Augen halten. Ich wünsche mir wirklich, dass Pferdebesitzer sich mehr mit dem natürlichen Verhalten und auch den Bedürfnissen ihrer Pferde auseinandersetzen.

Heutzutage hat doch jeder Zugang zu diesem Wissen, warum wird es so wenig genutzt?

Ich möchte hiermit keinen Pferdebesitzer verurteilen, der noch wenig Wissen hat und sich den Traum vom Pferd erfüllt - jedoch sollten genau diese Personen den Willen zeigen, dass sie es lernen wollen ihr Pferd zu verstehen. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und es ist bestimmt kein Fehler auch als Späteinsteiger sich aufs Pferd zu trauen. Doch die Auseinandersetzung mit den wirklichen Bedürfnissen des Tieres und der nie endende Wissenserwerb rund ums Pferd, sollten Grundgedanken für alle Reiter werden.

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